Vom Relikt zum Symbol des Lebens
Mit Wurzeln in der fernen Vergangenheit des Planeten wuchs der Ginkgo in unsere Kultur hinein. Er inspirierte Künstler, heilte Kranke und trotzte der Atombombe. Doch um Haaresbreite hätten die Menschen ihn nie kennengelernt.Als vor Millionen Jahren die Dinosaurier über die Erde streiften, war der Ginkgo bereits über den gesamten Globus verbreitet. Überall wuchsen eine Vielzahl verwandter Arten. Sie überlebten das Aufkommen und die Vorherrschaft der Blütenpflanzen sowie die Vernichtung drei Viertel aller Pflanzen- und Tierarten durch einen Asteroideneinschlag.
Danach verschwand der Ginkgo jedoch langsam, zuerst auf der Südhalbkugel, dann aus Nordamerika, später aus Europa und Japan. Schliesslich war nur noch Ginkgo biloba übrig, der einzige Überlebende der gesamten Pflanzenordnung. Auch er zog sich weiter aus der Welt zurück. Zu Ende der letzten Eiszeit hielt er sich nur noch in vereinzelten Regionen des heutigen China. Weshalb es zu dieser Entwicklung kam, bleibt bis heute ein Rätsel.
In seiner heutigen Form wächst Ginkgo biloba schon seit mindestens 100 Millionen Jahren – die Natur wandelte sich, der Baum blieb weitgehend unverändert.
Botanisch gesehen ist die Frucht ein Samen. In seinem Inneren befindet sich eine harte Schale, welche einen essbaren Kern verbirgt.
Da Ginkgos tausende Jahre alt werden können, stehen viele dieser Bäume noch heute bei zahlreichen buddhistischen, daoistischen und konfuzianistischen Tempeln. Sie werden verehrt als Symbol für ein langes Leben – manchen von ihnen ist ein eigener Schrein gewidmet. Reisende Mönche brachten den Ginkgo im Mittelalter nach Japan und Korea.
Überlieferungen zufolge hatte Konfuzius gerne unter einem Ginkgobaum gelesen und unterrichtet.
Chinesische Gedichte erwähnen den Ginkgo seit dem 11. Jahrhundert. Auch in Japan inspirierte der Baum die Poeten – in Haiku, japanischen Kurzgedichten, waren sie häufig vertreten:
Wie kleine goldene Vögelchen
fallen die Ginkgoblätter
in der abendlichen Sonne.
Akiko Yosano, 1878 – 1942
Maler liebten die einzigartige Form und Farbe der Blätter im Wandel der Jahreszeiten:
Japanischer Wandschirm, späte Edo-Zeit.
Japanischer Farbholzschnitt
Ohara Koson, 1877 – 1945
Ärzte der traditionellen chinesischen Medizin verarbeiteten Samen, Wurzeln und Blätter zu Arzneimitteln, welche sie gegen unterschiedliche Beschwerden verschrieben.
Als Lesezeichen schützten die Blätter Bücher, da sie für Insekten giftig sind, in der Küche fanden die Samen Verwendung, gekocht als Beilage oder geröstet als Snacks.
Geröstete Ginkgosamen
Ginkgo bedeutet «Silberaprikose» und war damals in Japan die verbreitete Bezeichnung. Die ersten Bäume erreichten Mitte des 18. Jahrhunderts Europa. Einer der Ersten steht noch heute in der Niederlande. Wenige Jahre später traf der Ginkgo schliesslich auch in Nordamerika ein.
Der wissenschaftliche Name wurde um biloba – zweigeteilt – erweitert.
Heute nimmt er in Japan den ersten Platz aller in Städten und entlang Landstrassen gepflanzter Bäume ein. Seine Widerstandsfähigkeit machte ihn weltweit zum beliebten Strassenbaum. Von Shanghai über Berlin bis New York kann man den Ginkgo heute antreffen. Er ist resistent gegenüber Krankheiten sowie Insekten und hat somit praktisch keine natürlichen Feinde.
Ginkgobäume säumen weltweit Strassen.
In den 60er Jahren entdeckte auch die westliche Medizin den Ginkgo. Anders als in Asien werden hier bevorzugt seine Blätter verwendet. Die Extrakte daraus gewonnen werden, verbessern die Konzentration, schützen Nervenzellen und erhöhen die Durchblutung kleiner Blutgefässe.
Im ersten Frühling nach der Atombombenexplosion in Hiroshima, als alles Leben ausgelöscht schien, schossen aus verbrannten Ginkgobäumen neue Triebe. Diese Widerstandsfähigkeit machte ihn für die Menschen zum Symbol für Kraft und Hoffnung.
Lange vor uns bewohnte der Ginkgo die Erde, fand einen Platz im Herzen der Menschen und wird, wenn unsere Ära wieder vergangen ist, noch immer seine Blätter in den Himmel strecken. Vielleicht hatten die alten Mystiker recht, als sie das Yin und Yang in ihm sahen, der Ginkgo ist Vergangenheit und Zukunft.